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Am Ende bricht doch das Temperament durch

© Mannheimer Morgen

Gute zwei Stunden lang wird der kleine Konzertsaal in der Mannheimer Lanz-Villa zum blauen Salon. Kühle, aber um so intensiver spürbare Melancholie prägt die Musik des Sextetts an der Stirnseite des Raumes. Mannheims Startrompeter Thomas Siffling hat es gebildet, um eins der bedeutendsten Plattenalben der Jazzgeschichte live auf der Bühne wiederaufleben zu lassen, in genau der gleichen instrumentalen Besetzung: „Kind Of Blue“ von Trompeter Miles Davis aus dem Jahr 1959.

„So What“, „Blue In Green“ und natürlich der „All Blues“: Jedes Stück der Platte erklingt im Originalarrangement; alles auch in den langsamen Tempi des Originals, wobei die fixe Besenarbeit des Saarbrücker Schlagzeugers Oliver Strauch oft eine schnellere Gangart suggeriert. Improvisiert wird nach eigenem Gusto, aber ebenfalls nahe am Vorbild, mit subtilen Tastentupfern von Pianist Volker Engelberth, so gut das geht an einem reichlich ramponierten altertümlichen Flügel, und vielen lang ausgehaltenen Tönen vor allem der Trompete. „Herrlich unaufgeregt“ nennt Thomas Siffling in einer seiner Ansagen diese Musik.

Die allerdings einst für eine stimmungsvolle Konzept-LP geschaffen und von Miles Davis selbst nie in ihrer Gänze auf die Konzertbühne gebracht wurde. Und siehe da: Bei aller Verehrung für die blauen Töne verlangt auch in Mannheim das Jazzer-Temperament machtvoll sein Recht. In den letzten beiden Stücken, nicht von „Kind Of Blue“, bricht es durch, liefert sich Thomas Siffling an der gestopften Trompete ein aberwitziges Duett mit dem Stuttgarter Bassisten Mini Schulz, und dessen Landsmann Jürgen Bothner geht am Tenorsaxofon in die Vollen zusammen mit Oliver Strauch an den Trommeln. Den Vogel schießt Altsaxofonist Olaf Schönborn ab, durch einen unglaublich wilden und doch völlig kontrollierten Ausbruch über die wohlvertrauten „I Got Rhythm“-Harmonien der Sonny-Rollins-Melodie „Oleo“.

Beste Aussichten für die Zukunft
So geht, bis auf eine sonntägliche Matinee für Kinder und Junggebliebene, ein Festival zünftig zu Ende, das Thomas Siffling im Auftrag der fünf Mannheimer Lions-Clubs erstmals zusammengestellt hat. Wie es der Programmatik der Clubs entspricht, unter besonderer Berücksichtigung der regionalen Jazz-Szene, und dies ohne stilistische Scheuklappen. Ein doppelter Duo-Abend brachte es auf den Punkt: Zuerst präsentierten Laurent Leroi am Akkordeon und Michael Herzer am Kontrabass ihr „Mission Tango“-Programm, mit klassischen Tango-Melodien und vielen eigenen Kompositionen in deren Geiste; alles sehr authentisch klingend und kein bisschen angestaubt.
Danach dann das Kontrastprogramm: Erwin Ditzner am Schlagzeug zusammen mit dem Speyerer Lömsch Lehmann an Tenorsaxofon und Klarinette, der wegen seiner üppigen Haarpracht und seinem recht unkonventionellen Bewegungsdrang beim Spielen schon optisch eine Attraktion darstellt; musikalisch aber ebenso kompromisslos ins Freie drängend. Das überwiegend ältere und vielleicht nicht allzu jazzerfahrene Publikum in der Lanz-Villa war trotzdem nicht erschrocken, sondern hingerissen. Beste Aussichten für das nächste Mannheimer Lions-Jazz-Festival in zwei Jahren.
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